Thema Rechtsschutzversicherung:

„Versicherungsanwalt“ contra freie Anwaltswahl

In letzter Zeit häufen sich die Anfragen meist verärgerter Mandanten, die, bevor sie ihre(n) Rechtsanwältin/Rechtsanwalt aufsuchen sich selber um Versicherungsschutz bei der von Ihnen gewählten Rechtsschutzversicherung bemüht haben.

Dort habe man je nach Versicherungsgesellschaft mehr oder weniger eindringlich versucht, den Versicherungsnehmer zu Anwälten zu vermitteln, die „ständig mit uns zusammenarbeiten“ und außerdem „besonders qualifiziert“ seien. Jedenfalls solle im Rechtsschutzfall erst bei der Versicherung angerufen werden, bevor ein Rechtsanwalt kontaktiert werde. Im Falle neuerer Rechtsschutzversicherungsverträge mit Schadenfreiheitsrabatt werde damit gelockt, dass eine Rückstufung nicht erfolge, wenn z.B. die Angelegenheit mithilfe eines von der Versicherung vorgeschlagenen Mediator oder durch eine Erstberatung abgeschlossen werden könne.

Was soll man davon halten?

Die erste Berufspflicht jedes Rechtsanwaltes ist es, keinen widerstreitenden Interessen zu dienen. Dieser Grundsatz ist berufsrechtlich und sogar strafrechtlich abgesichert. Ein Rechtsanwalt darf nicht beide Eheleute bei einer Scheidung oder beide Nachbarn bei einem Nachbarrechtsstreit vertreten.

Aber was hat das nun mit der Rechtsschutzversicherung zu tun, werden Sie sich fragen. Schließlich will doch ein Mandant und Versicherungsnehmer eigentlich nicht gegen seine Rechtsschutzversicherung vorgehen! Aber im Einzelfall vielleicht doch? Vielleicht nach einer Ablehnung der Deckungszusage? Wird mich auch dann das mit der Rechtsschutzversicherung ständig zusammenarbeitende Anwaltsbüro gut vertreten? Aber der Reihe nach:

Von Berufskollegen, die mit Rechtsschutzversicherern oft auf diese Weise zusammenarbeiten ist zu hören, dass es Gebührenvereinbarungen gibt. Der Vorteil des Versicherungsunternehmens ist also zunächst einmal ein Preisvorteil.

Der Vorteil des beteiligten Rechtsanwaltsbüros wiederum dürfte sein, dass im Gegenzug von der Rechtsschutzversicherung „abgefangene“ Mandate an diese Büros vermittelt werden.

Nun kann man als Anwalt ein Mandat „auf Sparflamme“ bearbeiten. Man kann aber auch mehr Aufwand betreiben um dem Mandanten leichter und sicherer zu einem vielleicht größeren juristischen Erfolg zu verhelfen. Dies ist dann – je nachdem – teurer. Man kann über den juristischen Tellerrand des gerade erteilten Mandates hinaus blicken, wenn man erkennt, dass der Mandant auch noch an anderer Stelle juristischer Hilfe bedarf. Dies eröffnet möglicherweise ein neues Mandat und löst neue Kosten aus.

Im Sinne einer Rechtsschutzversicherung ist eine derartige, mandantenorientierte Arbeitsweise sicherlich nicht. Die Rechtsschutzversicherung möchte – aus ihrer Sicht verständlich – Prämien vereinnahmen und möglichst wenige Deckungszusagen geben müssen bzw. im Rahmen erteilter Deckungszusagen möglichst sparsam wirtschaften.

Ein klarer Interessensgegensatz zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen.

Und genau in diesem Interessenwiderstreit befindet sich das von einer Rechtsschutzversicherung „ständig beauftragte“ Rechtsanwaltsbüro. Einerseits ist ein Anwalt berufsrechtlich verpflichtet, alles zu tun, was für seinen Mandanten nützlich ist. Andererseits jedoch muss er befürchten, wenn er sich so verhält, zu hohe Kosten zu produzieren, was das Versicherungsunternehmen alsdann veranlassen könnte, sich einen anderen Kooperationspartner zu suchen. Eine stetige Einnahmequelle würde versiegen.

Außerdem muss die Frage erlaubt sein, wenn zwischen Versicherungsunternehmen und Rechtsanwalt eine Gebührenvereinbarung getroffen wurde, die unterhalb der gesetzlichen Gebühren angesiedelt ist, ob ein Rechtsanwalt, der für die gleiche Arbeit beständig (von der Versicherung) niedrigere Gebühren vereinnahmen kann, willens ist, auf Dauer (für den Mandanten) eine gleichwertige Bearbeitungsqualität zu liefern. Wenn die Gebühren niedriger sind, muss es die Masse machen.

Und so hört man denn häufig die Beschwerde, dass der „Versicherungsanwalt“ nur kurz Zeit für den Mandanten hatte, bei Nachfragen telefonisch nicht zur Verfügung stand, oft leider auch, dass der Mandant mit dem Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit unzufrieden war. Dies mag vielleicht nicht repräsentativ sein und es wird sicherlich auch Kolleginnen oder Kollegen geben, die trotz der oben beschriebenen Schwierigkeiten in der Mandatsführung gute Arbeit abliefern, aber dennoch:

Sie, liebe Mandantin, lieber Mandant müssen letzten Endes entscheiden, was Ihnen die freie Anwaltswahl wert ist. Ob sie also z.B. mit Ihrem Anliegen zu einem Rechtsanwalt gehen, der auf einem Rechtsgebiet einen guten Ruf erworben hat, Ihnen von Bekannten empfohlen wurde oder dessen Internetseite Sie vielleicht besonders angesprochen hat. Oder ob sie sich – vielleicht um den vereinbarten Selbstbehalt zu ersparen oder einen Schadenfreiheitsrabatt nicht zu riskieren – zu einem ihnen unbekannten Anwaltsbüro vermitteln lassen wollen und sich den oben beschriebenen Problemen aussetzen wollen.

Damit wir uns richtig verstehen: Eine Rechtsschutzversicherung ist auch aus meiner Sicht in vielen Fällen sinnvoll, wenn nicht unverzichtbar um sich mit teilweise finanzstarken Prozessgegnern wie Banken, anderen Versicherungen oder auch Arbeitgebern auseinandersetzen zu können. Das Recht auf einen Anwalt Ihrer Wahl hingegen sollten Sie sich in keinem Fall nehmen lassen. Die Unabhängigkeit eines Rechtsanwaltes und seine Verpflichtung, nur ihren Interessen zu dienen ist für eine erfolgreiche Mandatsführung unverzichtbar.

Überlassen sie doch die Deckungsanfrage bei Ihrer Rechtsschutzversicherung einfach ihrem Rechtsanwalt, vergewissern Sie sich jedoch vorher, dass hiermit keine gesonderten Kosten für Sie entstehen.


Martin Mehr, Rechtsanwalt und Fachanwalt

Hinweis: Soweit von „Rechtsanwalt“ die Rede ist, ist dies immer geschlechtsneutral zu verstehen.

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